Eingliederungshilfe: differenziert diskutieren – nicht pauschal kürzen

Gespräch der LAG Selbsthilfe Bayern mit Klaus Holetschek und Tom Huber

Die LAG Selbsthilfe Bayern hat gemeinsam mit der LAG Persönliches Budget und dem Bayerischen Behindertenbeauftragten Holger Kiesel ein Gespräch mit Klaus Holetschek (Fraktionsvorsitzender der CSU) und Tom Huber, MdL (stellvertretender Vorsitzender des Sozialausschusses im Bayerischen Landtag) geführt.
Im Mittelpunkt standen aktuelle Diskussionen über mögliche Kosteneinsparungen in der Eingliederungshilfe und deren Auswirkungen auf die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen.

Der Austausch war offen und konstruktiv. Ziel war es, Wege zu finden, wie Unterstützungssysteme in Bayern verlässlich gestaltet werden können – ohne die Rechte und Chancen von Menschen mit Behinderungen einzuschränken.

Kernforderungen der LAG Selbsthilfe Bayern

1. Differenz statt Pauschalen
Politische Debatten über die Eingliederungshilfe müssen die unterschiedlichen Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen berücksichtigen. Pauschale Aussagen über Unterstützungsbedarfe führen zu Verunsicherung und fördern Vorurteile, statt Verständnis zu schaffen.

2. Bürokratie abbauen – vor Leistungsabbau
Bevor an Leistungen gespart wird, braucht es konsequente Schritte zur Entbürokratisierung. Vereinfachte Verfahren und transparente Nachweise würden sowohl Betroffene als auch Verwaltungen entlasten.

3. Beteiligung sichern
Menschen mit Behinderungen müssen von Anfang an und auf Augenhöhe in politische Prozesse einbezogen werden – insbesondere, wenn es um Veränderungen bei Leistungen oder gesetzlichen Grundlagen geht.

4. Verantwortung klären und Gleichwertigkeit sichern
Die LAG fordert klare Verantwortlichkeiten, falls Bezirke oder Kommunen ihre Aufgaben in der Eingliederungshilfe finanziell oder personell nicht mehr vollständig erfüllen können. Die Landespolitik ist gefordert, für gleichwertige Lebensverhältnisse in allen bayerischen Bezirken zu sorgen. Schon heute zeigen sich deutliche Unterschiede in der Umsetzungspraxis.

Fazit der LAG Selbsthilfe Bayern

Die LAG Selbsthilfe Bayern bleibt mit den politischen Entscheidungsträgern im Gespräch.
In die kommenden Diskussionen will sie konkrete Vorschläge zu Bürokratieabbau, Beteiligung und einer verlässlichen Finanzierung einbringen.

Ein besonderer Dank gilt Klaus Holetschek und Tom Huber für den offenen und sachorientierten Austausch.

Hinweis des SHV – Bayern

Der SelbstHilfeVerband – FORUM GEHIRN e.V. ist Mitglied in der LAG Selbsthilfe Bayern und unterstützt die gemeinsamen Positionen ausdrücklich.
Als Teil des landesweiten Selbsthilfenetzwerks engagieren wir uns dafür, dass die Belange von Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen in politischen Entscheidungsprozessen angemessen berücksichtigt werden.




Sozialstaatsreform gefährdet neurologische Versorgung!

Wie die LAG Selbsthilfe BW berichtet, fand ein Gespräch zwischen Bärbel Kehl-Maurer (Vorstandsvorsitzende LAG), Hubert Seiter (Vorsitzender des Verwaltungsrates des Medizinischen Dienstes BW) sowie dem neuen Landesverbandsgeschäftsführer des VdK, Ronny Hübsch, gemeinsam mit Sascha Wittenberg (Abt. Sozialpolitik) und Julia Nemetschek-Renz (Pressereferentin) statt. Im Mittelpunkt standen die Reform des Sozialstaates, Fragen des Medizinischen Dienstes und die medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung – insbesondere die Bedeutung der Medizinischen Behandlungszentren für erwachsene Menschen mit Behinderung (MZEB).

Als Selbsthilfeverband für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen möchten wir diese Debatte mit unserer Perspektive ergänzen:

  1. Frühzeitige Hilfen erhalten
    Die Überlegungen zur Abschaffung der Pflegegrad 1 lehnen wir entschieden ab. Gerade Menschen nach Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma oder anderen neurologischen Erkrankungen profitieren von frühzeitigen, niedrigschwelligen Leistungen. Sie verhindern den Verlust von Selbstständigkeit und teure Heimunterbringungen.

  2. Ambulante Strukturen ausbauen
    Wir fordern einen gezielten Ausbau der ambulanten Unterstützungsangebote und Therapien für Menschen mit Hirnverletzungen, damit Rehabilitation, Teilhabe und Pflege nahtlos ineinandergreifen können.

  3. MZEBs stärken – mit neurologischem Schwerpunkt
    Die Medizinischen Behandlungszentren für erwachsene Menschen mit Behinderung (MZEB) sind ein wichtiger Baustein. Damit sie auch Menschen mit komplexen neurologischen Einschränkungen erreichen, braucht es einen klaren Schwerpunkt auf erworbene Hirnschädigungen und eine bessere regionale Verfügbarkeit in Baden-Württemberg.

Unser Appell:
„Wer frühzeitig nach einer Hirnschädigung unterstützt wird, hat eine reale Chance, dauerhaft selbstbestimmt zu leben und Pflegekosten zu vermeiden. Darum darf es keine Kürzungen bei niedrigschwelligen Leistungen geben – im Gegenteil: wir brauchen einen Ausbau der ambulanten Hilfen und der MZEB-Strukturen für neurologisch Betroffene.“
so K.-E. Siegel, Vorsitzender SHV-FORUM GEHIRN BW.

Doch die Realität in der neurologischen Versorgung ist noch viel dramatischer!
Durch die Krankenhausreform ist die neurologische Frührehabilitation (Phase B) in Frage gestellt. Und die neurologische Phase F (Langzeitrehabilitation) ist nach vorläufigen Recherchen des SHV Baden-Württemberg stillschweigend verschwunden – eine katastrophale Entwicklung der Sozialstaatsreform, die wir entschieden kritisieren.




Es gibt doch noch Menschlichkeit!

Rezension zum Film „37° – Gegen das Vergessen: Mit Demenz auf der Bühne“ (ZDF)

 

Der Film „37° – Gegen das Vergessen“ nimmt uns mit auf eine Reise in eine Welt, die auf den ersten Blick fremd erscheint, aber von einer ungeheuren Wärme getragen ist. Menschen mit Demenz treten gemeinsam auf die Bühne – sie spielen Theater, sie lachen, sie bewegen sich frei, sie sind präsent. Für eine Stunde scheint die Krankheit zurückzutreten, und das, was bleibt, ist pure Menschlichkeit.

Die Dokumentation berührt tief, weil sie etwas sichtbar macht, das in unserer Gesellschaft viel zu oft verloren geht: die Achtung vor dem Menschen unabhängig von seiner Leistungsfähigkeit. Während Demenz im Alltag häufig als Defizit, als Belastung oder als „Verlust“ gesehen wird, zeigt dieser Film eine andere, fast wie aus einer anderen Welt wirkende Perspektive. Hier geht es nicht um das, was nicht mehr geht – sondern um das, was noch lebendig ist: Gefühle, Ausdruck, Begegnung.

Besonders eindrücklich ist, wie das Miteinander auf der Bühne gelingt. Diejenigen, die sich im Alltag vielleicht verloren fühlen, finden in der Gemeinschaft, im künstlerischen Ausdruck und in der Zuwendung der Begleiterinnen und Begleiter einen geschützten Raum. Es ist eine Botschaft voller Hoffnung: Menschlichkeit entfaltet ihre Kraft nicht im Funktionieren, sondern im gemeinsamen Erleben.

Für uns als Selbsthilfeverband ist dieser Film ein starkes Signal. Er zeigt, dass Inklusion nicht ein abstraktes Schlagwort bleiben muss, sondern ganz konkret möglich ist – wenn wir bereit sind, Menschen mit ihren besonderen Bedürfnissen und Fähigkeiten wahrzunehmen. Theater mit Demenzkranken ist nicht nur ein Kulturprojekt, es ist auch ein Ausdruck von Würde, Respekt und Liebe.

Am Ende des Films bleibt ein Gefühl, das wir gerne weitertragen: Ja, es gibt noch Menschlichkeit.

Gegen das Vergessen:Mit Demenz auf der Bühne

 




Vergünstigter Eintritt zur Messe LEBEN UND TOD in Freiburg

Die LEBEN UND TOD ist eine besondere Plattform: Sie verbindet Fortbildung für haupt- und ehrenamtlich Engagierte, eine vielseitige Messe sowie Information und Beratung für Betroffene und Interessierte. Trotz des ernsten Themas ist die Veranstaltung stets ermutigend, lebensbejahend und von Leichtigkeit geprägt.

Der diesjährige Themenschwerpunkt steht unter dem Motto:
„Am Ende … sind wir alle gleich?“
Im Fokus stehen Diversität, Multikulturalität, Inklusion und Teilhabe. Damit richtet sich die Messe besonders auch an Menschen, die mit Diskriminierung, Rassismus und Ausgrenzung konfrontiert sind – sei es beruflich, ehrenamtlich oder als Angehörige.

Gerade die Selbsthilfe spielt dabei eine wichtige Rolle: Viele Familien mit chronisch kranken, demenziell erkrankten oder kognitiv eingeschränkten Angehörigen müssen sich frühzeitig mit Fragen des Lebensendes auseinandersetzen. Die LEBEN UND TOD bietet einen geschützten Raum, um sich zu informieren, auszutauschen und neue Kraft zu schöpfen.

Als Mitglied der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Baden-Württemberg (LAG SH BW) können wir unseren Mitgliedern des SHV-BW einen reduzierten Eintrittspreis zur Messe LEBEN UND TOD anbieten:
6,- € statt 10,- € im Vorverkauf (Angebot gilt nicht an der Tageskasse).

17. + 18. Oktober 2025
Messe Freiburg
www.leben-und-tod.de

So erhalten Sie Ihr Ticket
Mitglieder, die das Angebot nutzen möchten, schreiben bitte eine E-Mail an info@shv-forum-gehirn.de und geben die gewünschte Anzahl der Tickets an. Sie erhalten anschließend einen Ticketgutschein.




Pauschbeträge ab 2025 auch schon ab GdB 20

Ab dem Steuerjahr 2025 gilt eine wichtige Änderung bei den steuerlichen Pauschbeträgen für Menschen mit Behinderung: Bereits ab einem Grad der Behinderung (GdB) von 20 können feste Pauschbeträge in Anspruch genommen werden.

Bislang lag die Grenze bei GdB 25. Für Menschen mit GdB 30 oder höher bleibt jedoch alles beim Alten – die Höhe der Pauschbeträge ist unverändert gegenüber 2024.

Was bedeutet die Neuregelung?

Menschen mit GdB 20 erhalten ab 2025 einen jährlichen Pauschbetrag von 384 €. Damit können nun auch leichtere Beeinträchtigungen berücksichtigt werden. Für alle anderen GdB-Stufen (ab 30) ändert sich nichts – die Beträge bleiben identisch mit den Vorjahren.

Die Pauschbeträge mindern die Steuer direkt. Das bedeutet: Sie müssen keine Belege sammeln oder Einzelnachweise führen, das Finanzamt erkennt den Pauschbetrag automatisch an.

Pauschbeträge im Vergleich (2024 / 2025)

Grad der Behinderung Pauschbetrag 2024 Pauschbetrag 2025 Änderung
20 – (keine Berücksichtigung) 384 € +384 €
30 620 € 620 € unverändert
40 860 € 860 € unverändert
50 1.140 € 1.140 € unverändert
60 1.440 € 1.440 € unverändert
70 1.780 € 1.780 € unverändert
80 2.120 € 2.120 € unverändert
90 2.460 € 2.460 € unverändert
100 2.840 € 2.840 € unverändert
Merkzeichen H / Bl / TBl oder Pflegegrad 4–5 7.400 € 7.400 € unverändert

Wer erhält den Höchstbetrag?

Unabhängig vom GdB gilt für Menschen mit den Merkzeichen H (hilflos), Bl (blind) oder TBl (taubblind) ein Pauschbetrag von 7.400 € pro Jahr. Auch Menschen mit Pflegegrad 4 oder 5 können diesen Höchstbetrag beanspruchen.

Fahrtkosten-Pauschalen zusätzlich möglich

  • 900 € jährlich: ab GdB 80 oder GdB 70 mit Merkzeichen G

  • 4.500 € jährlich: bei Merkzeichen aG, H oder Bl

Diese Beträge kommen zusätzlich zum Grundpauschbetrag infrage.

So beantragen Sie den Pauschbetrag

Für die Steuererklärung genügt der Schwerbehindertenausweis oder ein Bescheid des Versorgungsamtes. Der GdB bzw. das Merkzeichen wird in der Steuererklärung angegeben – entweder online über ELSTER oder durch die Steuerberatung. Das Finanzamt berücksichtigt dann automatisch den passenden Pauschbetrag.

Falls der Pauschbetrag von der betroffenen Person nicht genutzt wird (z. B. bei Kindern oder nicht-berufstätigen Ehepartnern), kann er auf Angehörige übertragen werden.




Können wir bald die Gedanken von Wachkomapatienten hören?

Ein internationales Forscherteam der Stanford University und Partnerkliniken hat in einer aktuellen Studie (Kunz et al., Cell, August 2025) bahnbrechende Ergebnisse vorgestellt: Innere Sprache – also das „Sprechen im Kopf“ – ist im menschlichen Motorkortex deutlich messbar und kann in Echtzeit dekodiert werden.

Was ist „innere Sprache“?

Innere Sprache bezeichnet das stille Mitsprechen oder innere Monologisieren, wie wir es beim Lesen, Zählen oder Nachdenken erleben. Viele Menschen kennen diese innere Stimme, die Gedanken in Worte fasst, ohne dass die Lippen sich bewegen.

Neue Hoffnung durch Sprach-Neuroprothesen?

Hirn-Computer-Schnittstellen (BCIs) haben in den letzten Jahren bereits gezeigt, dass gelähmte Menschen wieder kommunizieren können – etwa durch das Dekodieren von Handschrift-Signalen oder gesprochener Sprache, die nur noch schwach hörbar ist.
Die neue Studie geht einen entscheidenden Schritt weiter:

  • Vorgestellte Sätze konnten direkt aus Hirnsignalen gelesen werden.

  • Die Genauigkeit erreichte teils unter 20 % Fehlerquote – selbst bei Vokabularien 1) mit über 100.000 Wörtern.

  • Betroffene empfanden die Nutzung der inneren Sprache deutlich angenehmer und weniger ermüdend als den Versuch, tatsächlich zu sprechen.

Gerade für Menschen im Wachkoma oder mit schweren Sprachstörungen (z. B. ALS, Schlaganfall) könnte dies einen Weg eröffnen, wieder mit der Außenwelt in Kontakt zu treten.

Die Möglichkeit, Gedanken oder innere Sprache auszulesen, wirft jedoch Fragen zur mentalen Privatsphäre auf.
Die Forscher zeigen:

  • Auch unbeabsichtigte innere Sprache, wie beim Zählen oder Erinnern, kann teilweise entschlüsselt werden.

  • Gleichzeitig existieren Schutzmechanismen:

    • Spezielle Trainingsverfahren verhindern das versehentliche Auslesen privater Gedanken.

    • Ein „Schlüsselwort-System“ erlaubt es, die Sprachprothese nur bei bewusster Aktivierung zu nutzen.

Noch ist es nicht möglich, freie Gedanken oder komplexe innere Monologe zuverlässig zu „lesen“. Aber die Ergebnisse deuten darauf hin, dass innere Sprache in Zukunft die Grundlage für neue Kommunikationswege werden könnte – besonders für Menschen, die seit Jahren kein Wort mehr äußern konnten.

Damit stellt sich die ethische und zugleich hoffnungsvolle Frage:


Können wir bald die Gedanken von Wachkomapatienten hören?


Originalquelle:
Kunz, E.M., Krasa, B.A., Kamdar, F., Avansino, D.T., Hahn, N., et al. (2025). Inner speech in motor cortex and implications for speech neuroprostheses. Cell, 188(4), 1–16. doi:10.1016/j.cell.2025.06.015

1) D.h. das BCI konnte nicht nur ein paar einfache Befehle erkennen, sondern hatte Zugriff auf fast die ganze Sprache.




Neue ePA-Regeln: Was bleibt vom Widerspruch?

In den vergangenen Tagen habe ich mich intensiv mit dem neuen Kabinettsentwurf zum Digital-Gesetz (DigiG) beschäftigt.

Ein Bericht im Deutschen Ärzteblatt machte mich stutzig: Dort steht, dass Ärztinnen und Ärzte verpflichtet werden sollen, Gründe für die Nichtbefüllung der elektronischen Patientenakte (ePA) zu dokumentieren – und dass von dieser Ausnahmeregelung nur „in gut begründeten Einzelfällen“ Gebrauch gemacht werden darf.

Diese Formulierung wirft für mich als Versicherten mit bestehendem Widerspruch zur ePA die Frage auf: Bleibt mein Widerspruch künftig uneingeschränkt gültig – oder wird er durch solche Ausnahmen ausgehöhlt?

Weil der Gesetzestext (§ 353 DigiG) für mich – und sicher auch für viele andere – kaum verständlich ist, habe ich mich an folgende Stellen gewandt, um klare, barrierefreie Antworten zu erhalten:

  • Bundesministerium für Gesundheit (BMG) – Fachreferat für Digitalisierung
  • Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD)
  • Patientenbeauftragte der Bundesregierung
  • Behindertenbeauftragte des Bundes und des Landes Baden-Württemberg

Ziel meiner Anfrage:
Eine verständlich formulierte Auskunft darüber, was der Kabinettsentwurf konkret für mein Selbstbestimmungsrecht in Bezug auf die ePA bedeutet – und wie Betroffene sicherstellen können, dass ihr Widerspruch beachtet wird.

Hinweis:
Einen etwas ausführlicheren Bericht mit weiteren Hintergründen finden Sie auf der Homepage des Bundesverbands.

 




UN- Behindertenrechtskonvention für ALLE – Ein praktisches Beispiel

Mein heutiger Aufreger: Finanzamt

„Ein ganz praktisches Beispiel, oder besser gesagt mein heutiger Aufreger, verdeutlicht dies. Die Umsetzung der UN-BRK bedeutet für mich nicht nur, die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen (bei mir die Auswirkung mehrerer Schlaganfälle) zu berücksichtigen, sondern eine breitere Barrierefreiheit und Zugänglichkeit zu schaffen, die allen zugutekommt. Eine ausschließlich für Behinderte eingeführte Maßnahme würde ja erneut dem Sinn der Inklusion widersprechen. Durch die Anwendung einfacher inklusiver Maßnahmen in alltäglichen Verwaltungsprozessen, wie zum Beispiel einem Antwortschreiben an das Finanzamt, könnte man einen kleinen, aber wichtigen Schritt hin zu einer inklusiveren Gesellschaft machen.“

Der Ablauf, um ein ausgefülltes Antwortformular mit zwei Anhängen dem Finanzamt zuzumailen.

Obwohl ich – nachdem ich, getrieben von dem schlichten Wunsch, lediglich eine einfache E-Mail an meine zuständige Sachbearbeiterin beim Finanzamt senden zu dürfen, mich durch ein labyrinthisch verschachteltes Antwortformular kämpfen musste, dessen akribische Ausfüllung nicht nur die vollständige Preisgabe sämtlicher nur denkbarer persönlicher Daten wie Identifikationsnummer, Steuernummer, Geburtsdatum, Telefonnummer und – mutmaßlich – sogar einer bevorzugten Papierstärke erforderte, sondern darüber hinaus auch die technische Herausforderung zu bewältigen war, eine zuvor sorgfältig ausgefüllte und sodann mit beträchtlichem zeitlichem und nervlichem Aufwand in das vorgeschriebene PDF-Format überführte Datei auf einer eigens von den baden-württembergischen Finanzbehörden zu diesem Zwecke eingerichteten und mindestens ebenso undurchsichtigen wie umständlichen Sonderhomepage hochzuladen, um dann, nach mehrfacher, beinahe feierlich inszenierter Bestätigung meiner Absicht, das alles auch wirklich absenden zu wollen, lediglich ein Protokoll für meine Unterlagen zum Ausdrucken zu erhalten und im selben Zuge zu erfahren, dass – selbstverständlich aus Gründen der Datensicherheit! – jegliche Antwort auf mein Anliegen ausschließlich telefonisch oder, in historischer Kontinuität mit dem preußischen Beamtentum, per Post erfolgen könne, was angesichts des offenkundig kafkaesken und bis in die tiefsten Verästelungen des Finanzamts durchdeklinierten Gesamtprozesses, dessen Komplexität, Umständlichkeit und selbstgenügsame Verwaltungsverliebtheit nicht nur meine Geduld, sondern auch mein Vertrauen in die langfristige Überlebensfähigkeit eines solchen Staates sowie der dahinterstehenden Regierung auf eine existenzielle Probe stellte, weshalb ich mich, ernüchtert und gleichzeitig in der Klarheit meines Entschlusses bestärkt, gezwungen sah, aus diesem Verein – den man in höflicher Zurückhaltung noch als modernen Staat bezeichnen könnte – endgültig auszutreten, da sich, wie ich meine, das bevorstehende Scheitern eben jenes Systems bereits in der banalen Unmöglichkeit, eine simple E-Mail zu senden, schmerzhaft offenbart.
(Mit dem Schreibstil möchte ich Sie nur teilnehmen lassen an der Komplexität des Ablaufes.)

So, jetzt als ich das oben aufschreibe, ist mir bewusst geworden, dass ich die beiden Anhänge vergessen habe. Nein ich mute nur mir das ganze Prozedere nochmals zu. Wenn Sie mich trotzdem dabei begleiten wollen, dann gehen Sie einfach nochmals hoch und lesen den Text ab: „Obwohl ich – nachdem ich, …“ nochmals in ruhe durch. Vergessen Sie aber dabei nicht, an der richtigen Stelle die beiden Anhänge hochzulade. Übrigens mehr als 5 Dateien dürfen Sie auch nicht anhängen.

So, hurra geschafft.

Meine Vorstellung wäre: QR-Code → ELSTER → Dateien hochladen – fertig.

Denn wir, Menschen mit Behinderungen, sind doch keine ‚Hinterwäldler‘, die noch in der Zeit von handschriftlich ausgefüllten Formularen leben müssen – genauso wenig wie die Angehörigen unserer Schwerstbetroffenen. Doch leider sind es oft diejenigen, die Gesetze für uns erlassen, die glauben, dass die bloße gesetzliche Einführung bereits ausreicht. Fristsetzungen kommen immer nur einseitig vom Staat, während die Umsetzung der UN-BRK, insbesondere in staatlichen Stellen, nicht einmal einklagbar ist. Inklusion steht nur auf dem Papier – die tägliche Realität belegt das.

Und wie toll könnte eine inklusive Gesellschaft für alle sein, Behinderte wie Nichtbehinderte!

 


Noch ein Hinweis für die, die nun die Datensicherheit und DSGVO als Gegenargument anführen. Datensicherheit in Formularen ist extrem eingeschränkt und in diesem Formular werden alle meine persönlichen Daten, Adresse, Gebdatum, Steuer- und ID-Nummer, Adresse, etc. abgefragt, die für diesen Vorgang überhaupt nicht relevant sind. Und ich werde sogar dazu, durch Pflichtfelder, gezwungen. Die ID-Nummer, Anschreiben und Anlagen wären völlig ausreichend. Allein die möglichen Anhangsformate: „Folgende Formate werden akzeptiert: jpg, jpeg, png, bmp, gif, tif, tiff, pdf, docx, csv, xlsx, odt, ods, heif, avif, heic, txt.“ bergen jedoch erhebliche Risiken.




ChatGPT – SEIN oder nicht SEIN

„ChatGPT vielen Neurologen überlegen  –  KI stärkt neurologische Diagnosen“

Die erste Überschrift („ChatGPT vielen Neurologen überlegen“) kann bei Fachleuten leicht den Eindruck erwecken, die KI solle den Arzt ersetzen und gefährde damit Arbeitsplätze oder die ärztliche Verantwortung. Die zweite Formulierung („KI stärkt neurologische Diagnosen“) betont dagegen die Rolle der KI als unterstützendes Werkzeug, das auf ein riesiges, ständig aktualisiertes Wissen zurückgreift und gerade in schwierigen Fällen neue Perspektiven eröffnen kann. Berücksichtigt man beide Sichtweisen, zeigt sich: Die KI ist dann ein wertvolles Hilfsmittel, wenn sie verantwortungsvoll genutzt wird und der Arzt ihre Vorschläge kritisch prüft. Wenn sie jedoch als Rechtfertigung für Diagnosen dient, ohne ärztliches Urteil einzubeziehen, kann das sowohl für Patienten als auch für Behandler und letztlich für das Vertrauen in das Gesundheitssystem zu einem ernsthaften Problem werden.

„KI stärkt Diagnosen bei Polyneuropathie“

 

Kann künstliche Intelligenz bei der Diagnose komplexer Nervenerkrankungen mithalten? Eine internationale Studie unter der Leitung von Dr. Alberto De Lorenzo vom Klinikum Humanitas in Mailand hat genau das untersucht – mit erstaunlichen Ergebnissen.

Im Test standen 100 echte, sorgfältig dokumentierte Fälle von Patientinnen und Patienten mit Polyneuropathien, darunter chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP), das POEMS-Syndrom und die Charcot-Marie-Tooth-Krankheit. ChatGPT in der Version 4o analysierte die standardisierten Fallberichte und sollte jeweils drei differenzialdiagnostische Vorschläge inklusive Begründung machen.

Parallel beurteilten 36 Neurologinnen und Neurologen aus zehn Ländern die gleichen Fälle. Knapp die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte war auf periphere Nervenerkrankungen spezialisiert, die andere Hälfte nicht.

Das Ergebnis: ChatGPT lag in 66 Prozent der Fälle mit der Hauptdiagnose richtig – deutlich besser als die nicht spezialisierten Fachkräfte (54 Prozent). Lediglich die erfahrenen Spezialistinnen und Spezialisten schnitten noch besser ab und erreichten eine Trefferquote von 74 Prozent. Betrachtete man alle drei Vorschläge, enthielten 82 Prozent der KI-Antworten die korrekte Diagnose. Zum Vergleich: Die nicht spezialisierten Ärzte kamen auf 69 Prozent, die Experten auf etwa 90 Prozent.

Auch bei der Wahl der wichtigsten konfirmatorischen Tests überzeugte die KI: In 68 Prozent der Fälle lag sie richtig – ein Wert, der fast exakt dem der Spezialisten entsprach.

Allerdings zeigte sich auch, wo die Grenzen liegen. Die KI neigte dazu, Laborwerte zu überbewerten und klinische Details zu vernachlässigen. Immerhin: Nur in fünf Prozent der Antworten wurden Informationen frei erfunden – deutlich weniger als bei früheren Modellen.

Nach dem Vergleich mit den KI-Vorschlägen änderte etwa jeder fünfte nicht spezialisierte Neurologe seine Diagnose. Unter den Spezialisten war es nur jeder Zehnte.

Fachleute sehen in solchen Systemen vor allem eine Chance, wo spezialisierte Expertise fehlt. Richtig eingesetzt können KI-Modelle Diagnosen strukturieren, Tests gezielter auswählen und wertvolle Denkanstöße geben.

„Es kommt auf die Prompts, das kritische Hinterfragen und die ärztliche Verantwortung an.“ so Siegels Fazit.

Quelle: SpringeMedizin 26.06.2025 | Periphere Neuritis | Kongressbericht




Gefangen im eigenen Körper

44 Stunden zwischen Leben und Tod – und was sie uns über Bewusstsein, Medizin und Organspende lehren

Auch Friedemann Knoop „erwachte“ in diesem Zustand des Locked-in-Syndroms und beschreibt in seinem Buch, das der SHV herausgebracht hat, seine 1,5 Jahre „Lebendig eingemauert“

Was bleibt vom Menschen, wenn er nicht mehr spricht? Was, wenn der Körper schweigt – aber das Innere schreit?
Die Dokumentation „Gefangen im eigenen Körper – 44 Stunden zwischen Leben und Tod“ konfrontiert uns mit einer beunruhigenden Wahrheit: Es gibt Zustände, in denen das Bewusstsein eines Menschen vollkommen intakt ist – aber keine Möglichkeit mehr besteht, das zu zeigen.

Im Zentrum des Films steht der junge Familienvater Gil Avni aus Israel. Nach einem unerwarteten Hirnödem wird er ins künstliche Koma versetzt. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte gehen davon aus, dass er keine Überlebenschance mehr hat. Seine Familie beginnt, sich zu verabschieden. Doch Gil lebt – nicht nur biologisch, sondern geistig. Er hört alles, versteht jedes Wort, ist voll da. Nur zeigen kann er es nicht. Kein Laut, keine Bewegung, kein Zeichen. 44 Stunden lang.

Der Film erzählt nicht nur eine medizinisch außergewöhnliche Geschichte, sondern macht ein tiefes menschliches Dilemma sichtbar: Wo endet das Leben – und wo beginnt der Tod? Wer entscheidet darüber? Und wie sicher sind wir uns in dieser Entscheidung?

Ein schmaler Grat zwischen Fehleinschätzung und folgenschwerer Entscheidung

Die Situation, in der sich Gil befand, ist extrem selten – aber nicht einmalig. Sie erinnert an das sogenannte Locked-in-Syndrom, bei dem Patienten bei vollem Bewusstsein eingeschlossen im eigenen Körper gefangen sind. Manche dieser Menschen können später wieder kommunizieren – manche nicht. Der Fall Gil Avni wurde durch eine zufällige Beobachtung eines Pflegers erkannt. Was wäre gewesen, wenn diese nicht erfolgt wäre?

Hier berührt die Dokumentation ein brisantes Thema: die Problematik der Organspende bei unklarer Bewusstseinslage. In vielen Ländern, auch in Deutschland, wird die Organspende in der Regel an die Diagnose des Hirntods gebunden. Doch was, wenn diese Diagnose voreilig gestellt wird? Was, wenn jemand noch lebt – und sich seiner Situation vollkommen bewusst ist, aber keinerlei Möglichkeit mehr hat, dies mitzuteilen?

Gil Avni war nicht hirntot. Doch seine Geschichte wirft Zweifel auf, ob wir mit unseren derzeitigen diagnostischen Mitteln wirklich sicher beurteilen können, was im Inneren eines scheinbar reglosen Menschen vorgeht. Die Vorstellung, dass ein Mensch für tot erklärt – und womöglich zur Organspende freigegeben – werden könnte, während er alles mitbekommt, ist erschütternd. Und doch nicht völlig ausgeschlossen.

Ein Aufruf zur ethischen Wachsamkeit

Der Film ist kein Angriff auf die Organspende – aber ein Aufruf zur Achtsamkeit. Zur Sorgfalt. Und zur Demut vor dem, was wir nicht messen oder vollständig verstehen können. Er zeigt, dass der Tod nicht nur eine medizinische, sondern auch eine philosophische, ja spirituelle Frage ist. Dass Entscheidungen über Leben und Tod niemals leichtfertig getroffen werden dürfen. Und dass jede medizinische Grenzsituation individuelle Würde verdient.

In Israel hat Gils Fall zu einem Umdenken geführt. Die Gesetzgebung wurde angepasst, um bewusste Patient:innen im künstlichen Koma besser zu schützen. Auch in Deutschland stellt sich die Frage, wie wir mit der wachsenden Komplexität am Lebensende umgehen wollen. Welche Sicherheit können und müssen wir fordern, bevor lebensentscheidende Maßnahmen wie Organentnahme getroffen werden?

Sehen – und innehalten

„Gefangen im eigenen Körper – 44 Stunden zwischen Leben und Tod“ ist weit mehr als eine bewegende Einzeldokumentation. Sie ist ein Spiegel für unser medizinisches Selbstverständnis – und eine Einladung zur ethischen Selbstprüfung.

Der Film ist noch bis zum 22. Juli 2025 in der ARD-Mediathek abrufbar. Wir laden Sie ein, diese besondere Sendung anzusehen und mit uns darüber ins Gespräch zu kommen.

Zur Dokumentation in der ARD-Mediathek

Mehr über das Buch: Lebendig eingemauert