Auf ein Wort Herr Minister Lauterbach

Im Interview mit dem Magazin STERN am 13. Januar 2023 spricht Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach über wichtige Reformen im Jahr 2023 unter anderem auch über Reformen in der Pflege. Karl-Eugen Siegel, Landesvorsitzender des SHV – FORUM GEHIRN e.V. Baden-Württemberg nimmt dazu Stellung.

STERN:

Eine zweite wichtige Reform betrifft die Pflege. Was haben Sie da 2023 vor?

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:

Wir wollen insbesondere die Pflege durch Angehörige und durch ambulante Dienste besserstellen. Die meisten Betroffenen werden zuhause gepflegt. Die brauchen unsere Unterstützung. Zumal die Personalkosten in der ambulanten Pflege auch zu recht gestiegen sind. Und dafür müssen die Pflegeleistungen steigen.

Karl-Eugen Siegel (SHV – FORUM GEHIRN e.V.):

Herr Minister Lauterbach, es ist wirklich eine schöne Geste von Ihnen, dass Sie den pflegenden Angehörigen von schwerst Betroffenen Ihre Unterstützung und die der Gesellschaft versprechen. Da können wir als Vertreter genau dieser Gruppe endlich aufatmen, denn durch das GKV-IPReG waren wir ja diesbezüglich stark verunsichert.

Nun gestehen Sie sogar erhöhte Personalkosten im ambulanten Bereich zu – ich hoffe, dass Sie dies auch z.B. unseren lokalen Kostenträgern deutlich machen, dass diese z.B. im Persönlichen Budget dies akzeptieren. Leider ändert selbst eine weitere Steigerung der Pflegeleistung nichts daran, dass die im GKV-IPReG geforderte qualifizierte Pflege zu Hause wegen des Pflegenotstandes nicht so umzusetzen ist. Das mag in Berlin funktionieren, aber bei uns auf der Schwäbischen Alb (und auch bundesweit im ländlichen Raum) nicht. Daher bleibt real die Angst der Angehörigen, ihren schwerst betroffenen und ggf. über Jahrzehnte schon zu Hause versorgten Patienten in ein Heim geben zu müssen, bestehen. – Wo bleibt da Ihre versprochene Unterstützung? Wo die von uns geforderte Reform, die Anpassung des GKV-IPReG an die Realität?

STERN:

Also mehr Geld. Woher soll das kommen, zumal die Zahl der zu Pflegenden weiter steigen wird?

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:

Zunächst einmal: Wir wollten ja über positive Dinge sprechen. Unsere Pflegeversicherung ist im europäischen Vergleich sehr gut. Sie ist intelligent gemacht und immer wieder verbessert worden. Der Reformstau in der Pflege ist nicht so gravierend wie bei den Krankenhäusern.

Karl-Eugen Siegel (SHV – FORUM GEHIRN e.V.):

Herr Prof. Lauterbach, wir als Angehörige von z.T. komatösen Partnern können viel Positives über unsere zu Betreuenden zu Hause berichten, doch das sind nur wenige uns motivierende und ganz persönliche Momente, bevor die Sorgen und Ängste für die uns Anvertrauten, wie ein Damoklesschwert wieder auftauchen. Denn es ist ja nicht „nur“ der Pflegenotstand, der uns zu schaffen macht. Es sind die immer wiederkehrenden scheinbaren Kleinigkeiten, die uns mehr als zu schaffen machen. Allein die Verwaltung einer häuslichen Versorgung: Besorgung von Verordnungen für Therapien, Heil- und Hilfsmittel, Lieferengpässe sowohl im Bereich der Ernährung (Sondenkost), Hygieneartikel bis hin zu Medikamenten, etc. Und neuerdings noch die Angst vor Engpässen und sogar Ausfall von lebensnotwendigen Interventionsmaschinen, wie Beatmungsmaschinen und Absaugeinrichtungen. – Es gäbe noch viel, viel mehr aufzuzählen! – Aber: „Wir wollten ja über positive Dinge sprechen.“ sagen Sie aus Ihrer bundespolitischen Sicht als Unbeteiligter.

STERN: Fehlt immer noch das Geld.

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:

In der Tag: Deshalb werden wir auch nicht umhinkommen, dass die Beitragssätze steigen. Und im Koalitionsvertrag sind zurecht auch weitere Steuerzuschüsse vorgesehen. Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, auch weil durch mehr Pflege zuhause das System insgesamt entlastet wird.

Karl-Eugen Siegel (SHV – FORUM GEHIRN e.V.):

In der Tat, Herr Bundesgesundheitsminister, das sehen wir genauso. Da ist die Solidarität der gesamten Gesellschaft gefordert. Doch dann muss auch die Politik diesen Bereich, vor allem die Pflege unterstützen und nicht durch unsinnige Maßnahmen Pflegekräfte aus dem Beruf verdrängen, wie dies in den letzten beiden Jahren der Fall war. Das entspricht nicht der von Ihnen geforderten Solidarität. Solidarität besteht nicht darin, mehr Beiträge in die Kassen zu spülen, sondern die z.T. übermenschlichen Leistungen entsprechend anzuerkennen.

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:

Wenn die Pflege zu Hause entfällt, folgt oft die stationäre Pflege. Und die ist noch teurer. Durch ambulante Pflegedienste wird auch erreicht, dass viele Angehörige im Beruf bleiben können, die sonst ihre Angehörigen pflegen würden.

Karl-Eugen Siegel (SHV – FORUM GEHIRN e.V.):

Herr Prof. Lauterbach, bitte streichen Sie das „oft“, denn wenn die häusliche Pflege verhindert wird, dann folgt unweigerlich die stationäre Pflege, ansonsten der Tod! – Wahrscheinlich bin ich im Moment nicht auf dem aktuellsten Stand, doch weiß ich nicht, welchen Vergleich Sie hier anstellen. Sie behaupten nun, dass die stationäre Versorgung teurer ist als die ambulante. Wenn es zu einer Einweisung auf die Intensivstation kommt, haben Sie vollkommen Recht. Doch aus meiner inzwischen jahrzehntelangen Erfahrung ist dies in aller Regel nicht der Fall. In den meisten mir bekannten Fällen, kommen nicht beatmete, jedoch schwerst hirngeschädigte Menschen in „normale“ Pflegeheime für alte pflegebedürftige Menschen. Absolut unzureichend, doch leider häufig die Realität. – Übrigens Herr Minister, wenn diese Einweisung in ein möglichst ortsfernes Pflegeheim gelungen ist (nach meiner Auffassung das Ziel des GKV-IPReG) dann können die Angehörigen endlich auch wieder ohne Belastung ihrem Beruf nachgehen und durch ihr Gehalt die volkswirtschaftliche Wertsteigerung mit erhöhen. Wir haben ja inzwischen über zwei Jahre das Social-Distancing von Ihnen verordnet bekommen, warum sollten wir das nicht hier fortsetzen?

Aber Herr Bundesgesundheitsminister Prof. Lauterbach! Genau darunter haben wir als emotionsbegabte Bundesbürger gelitten, die Selbsthilfe ist fast zum Erliegen gekommen und muss nun mühsam wieder in Präsenz neu belebt, das Vertrauen zueinander, das u.a. durch Ihre Ausgrenzungspolitik verloren gegangen ist, muss neu aufgebaut werden. Die unendliche aufopfernde häusliche Pflege durch die Angehörigen muss deutlich erleichtert werden, administrative Aufgaben auf ein Minimum gesenkt, Unterstützung bei der Suche geeigneter Pflegekräfte veranlasst und insgesamt, dem Pflegenotstand durch die entsprechende gesellschaftliche und vor allem politische Wertschätzung des Pflegepersonals entgegengewirkt werden. Eine entsprechende Reform des GKV-IPReG wäre für die schwerst Betroffenen und deren Angehörigen eine wirkliche Unterstützung Ihrerseits, die viele Ängste beseitigen könnte. Dazu müssten Sie weder Steuermittel in die Hand nehmen, noch die Pflegeversicherungsbeiträge erhöhen. – Nicht alle Probleme lassen sich mit Geld lösen!

 

Das gesamte Interview des Magazins STERN mit Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach kann auf der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums (s. Quelle) abgerufen werden.

 

(Quelle: Bundesgesundheitsministerium, 18.01.2023, 15:56 Uhr)