RKI-Protokolle als Wendepunkt: War Impfpflicht verfassungswidrig?
„Es ist wichtig, dass wir uns an die Vergangenheit erinnern“, sagt Siegel. „Die Impfpflicht war nicht das einzige Problem; auch die restriktiven und unmenschlichen Maßnahmen, wie etwa das Besuchsverbot für schwer kranke und in unseren Fällen sogar kognitiv stark beeinträchtigte Patienten, waren sowohl überzogen als auch ineffektiv. Geimpft, getestet und mit Mundschutz war es nicht nachvollziehbar, dass nur eine Person und nur einmal die Woche für eine Stunde ihre Angehörige besuchen durften. Das war, wie gesagt, nicht nur kontraproduktiv sondern absolut unmenschlich. Die von der Regierung initiierte Angstwelle war weder der Situation angemessen, noch so hoffe ich verfassungsmäßig und menschlich völlig unakzeptabel. Ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht diesmal alle verfügbaren Beweise berücksichtigt und zu einer Entscheidung gelangt, die der damaligen tatsächlichen Situation gerecht wird.“
Das Bundesverfassungsgericht muss erneut die Verfassungsmäßigkeit der Corona-Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen prüfen. Dies geht aus einem aktuellen Bericht der Ärztezeitung hervor. Hintergrund ist eine Klage einer Pflegehelferin aus dem Landkreis Osnabrück, die ihren Arbeitsplatz aufgrund fehlender Impf- oder Genesungsnachweise verloren hat. Das Verwaltungsgericht Osnabrück hat die Klage zur Prüfung vorgelegt, was nun zu einer erneuten Bewertung der bisherigen Rechtsprechung führt.
Im April 2022 hatte das Bundesverfassungsgericht die Impfpflicht für bestimmte Einrichtungen als rechtmäßig bestätigt. Allerdings werfen neuere Entwicklungen Fragen auf, insbesondere durch ein kürzlich veröffentlichtes Protokoll des COVID-19-Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts (RKI). Lars Schaade, der Präsident des RKI, äußerte vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück Zweifel an der Unabhängigkeit der behördlichen Entscheidungsprozesse. Diese Bedenken sind besonders bedeutend, da viele gerichtliche Entscheidungen während der Pandemie auf den Empfehlungen des RKI basierten.
Ursprünglich sollte die Impfpflicht vulnerable Gruppen vor einer Infektion durch ungeimpftes Personal schützen. Doch nach Inkrafttreten der Regelung im März 2022 stellte sich heraus, dass die Impfung keinen zuverlässigen Schutz vor der Virusübertragung bietet, sondern vor allem das Risiko schwerer Krankheitsverläufe reduziert. Offenbar informierte das RKI das Gesundheitsministerium nicht über diese neuen Erkenntnisse, was dazu führte, dass die Impfpflicht im Laufe des Jahres 2022 möglicherweise verfassungswidrig wurde.
Die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könnte weitreichende Folgen haben. Sollten die Richter die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bestätigen, könnte dies die einrichtungsbezogene Impfpflicht nachträglich außer Kraft setzen und eine umfassende Neubewertung der Corona-Maßnahmen erfordern. Die juristische Aufarbeitung der Pandemiepolitik steht somit vor einer potenziellen Wende.