Schlankere Bürokratie oder Gefahr für die Versicherten?

Baden-Württemberg will die Krankenkassenprüfung umkehren.

Ein Beitrag von K.E. Siegel

Das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) hat die wichtige Aufgabe, die Daten der Krankenkassen im Rahmen des Risikostrukturausgleichs auf Manipulationsversuche zu überprüfen. Diese Prüfungen sind notwendig, um sicherzustellen, dass die Ressourcen unseres Gesundheitssystems gerecht verteilt werden und nicht durch ungerechtfertigte Diagnose-Codierungen in bestimmte Kassenkanäle gelenkt werden.

Die baden-württembergische Landesregierung strebt jedoch eine Reform dieser Prüfungen an und argumentiert, dass die Verfahren verschlankt und die Beweislast umgekehrt werden sollten. Als Vorsitzender des SHV-FORUM GEHIRN e.V. sehe ich die vorgeschlagenen Änderungen mit Sorge und möchte auf einige kritische Punkte hinweisen.

Das Risiko der Bürokratieverschlankung

Bürokratieabbau wird oft als positiv wahrgenommen, da er vermeintlich zu mehr Effizienz führt. Doch in diesem speziellen Kontext könnte eine Vereinfachung der Prüfverfahren erhebliche Risiken bergen. Die aktuelle Praxis der kassenübergreifenden Auffälligkeitsprüfung hat gezeigt, dass es bei zahlreichen Krankenkassen auffällige Steigerungen in den gemeldeten Diagnosen gibt, die einer weiteren Untersuchung bedürfen. Eine Verschlankung könnte dazu führen, dass solche Unregelmäßigkeiten unerkannt bleiben, was letztlich zu einem Missbrauch der Versichertengelder führt. Und was ist mit der Bürokratieverschlankung für die kranke Bevölkerung? Bei den Versicherten, das sind auch, was oft sowohl von den Krankenkassen als auch der Politik vergessen wird, die Financiers, wird um jeden Euro mit dem Totschlagargument: Wirtschaftlichkeit gespart. Anträge abgelehnt, Widerspruchsverfahren, bis hin zu Entscheiden vor dem Bundessozielgericht – Wo ist da die Landesregierung mit ihrem Bürokratieabbau?

Die Gefahr des Upcoding

Eine der größten Gefahren bei der Codierung von Diagnosen ist das sogenannte Upcoding, bei dem Krankenkassen Diagnosen schwerwiegender erscheinen lassen, um höhere Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu erhalten. Dies ist nicht nur ethisch fragwürdig, sondern belastet auch das gesamte Gesundheitssystem. Anstatt die Prüfungen zu reduzieren, sollten wir den Fokus darauf legen, diese Praktiken konsequent zu identifizieren und zu verhindern. Denn jeder Euro, der durch Upcoding unrechtmäßig eingenommen wird, fehlt an anderer Stelle – zum Beispiel bei der Versorgung von Hirnverletzten, die auf eine adäquate und zeitnahe Behandlung angewiesen sind.

Umkehr der Beweislast: Ein gefährlicher Präzedenzfall

Die vorgeschlagene Umkehr der Beweislast, wonach nicht mehr die Kassen die Rechtmäßigkeit ihrer Diagnosedaten belegen müssen, sondern das BAS den Beweis des Gegenteils erbringen soll, könnte einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen. Diese Änderung könnte die Hürden für die Aufdeckung von Missbräuchen erheblich erhöhen und den Anreiz für Krankenkassen verringern, präzise und ehrliche Diagnosedaten zu liefern.

Auswirkungen auf die Versorgung von Hirnverletzten

Die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Hirnverletzungen erfordert spezialisierte und oft kostspielige Behandlungen. Eine ineffiziente Ressourcenverteilung durch unzureichende Prüfverfahren gefährdet daher besonders diese Patienten. Wenn Gelder aufgrund von Missmanagement oder falscher Codierung fehlgeleitet werden, sind es oft die vulnerabelsten Gruppen, die darunter leiden. Daher ist es essenziell, dass wir als Gesellschaft darauf achten, dass die Mittel dort ankommen, wo sie wirklich gebraucht werden.

Die vorgeschlagenen Änderungen durch Baden-Württemberg, die Prüfungen im Risikostrukturausgleich zu verschlanken und die Beweislast umzukehren, muss kritisch hinterfragt werden. Effizienz ist wichtig, aber nicht um den Preis von Transparenz und Fairness. Die Gesundheit und das Wohl aller Versicherten, insbesondere derer, die mit schweren Erkrankungen und Verletzungen wie Hirnschäden zu kämpfen haben, müssen stets im Vordergrund stehen.

Daher appelliere ich als Vorsitzender des SHV-FORUM GEHIRN e.V. an die politischen Entscheidungsträger, die langfristigen Auswirkungen solcher Änderungen sorgfältig zu prüfen und sicherzustellen, dass der Schutz der Versicherten gewährleistet bleibt. Die Integrität unseres Gesundheitssystems darf nicht durch vermeintliche Vereinfachungen aufs Spiel gesetzt werden.