Organspende – Die Stimme einer Mutter für Aufklärung und Menschlichkeit
Renate Greinert erzählt in ihrem Buch „Unversehrt sterben! Konfliktfall Organspende“ eine zutiefst persönliche und aufrüttelnde Geschichte, die weit über ihre eigene Erfahrung hinausgeht. Als Mutter eines Kindes, das sie für eine Organspende freigegeben hat, schildert sie die emotionalen, ethischen und medizinischen Konflikte, die mit der Transplantationsmedizin verbunden sind. In einer emotionalen Ausnahmesituation, unwissend und den Ärzten vertrauend, stimmte sie der Organspende zu. Doch diese Entscheidung ließ sie nicht los:
„Tief in mir drin, weiß ich, dass ich mit meiner Zustimmung zur Organspende etwas Entsetzliches getan habe. Ich weiß nur nicht, was!“ (S. 44)
Daraufhin begibt sie sich mit dem Leser auf die Suche nach diesem „was“ – einer quälenden Frage, die sie durch ihre Erfahrungen, Recherchen und Reflexionen immer weiter ergründet. Schritt für Schritt deckt sie auf, was ihr in der emotionalen Ausnahmesituation verwehrt blieb: eine umfassende, ehrliche und erschreckende Aufklärung über die Konsequenzen ihrer Entscheidung.
Diese, ihre zentrale Botschaft: Aufklärung muss ehrlich und umfassend sein – und der Sterbende darf niemals zu einen Ressource degradiert werden.
Die Notwendigkeit ehrlicher Aufklärung
Renate Greinert ist überzeugt: Wer sich für oder gegen eine Organspende entscheidet, muss dies auf Grundlage vollständiger Informationen tun können. Sie beschreibt eindringlich, wie Angehörige ohne ausreichende Aufklärung und unter enormem Druck zu einer Entscheidung gedrängt werden:
„Es war die Aussage des Arztes: Wenn wir uns für eine Organspende entscheiden würden, könnten andere Kinder weiterleben. […] Mein Ja zur Organspende war nur ein Nein zu noch mehr Tod!“ (S. 72)
Doch die Tragweite ihrer Entscheidung wird ihr erst später klar. Sie fühlt sich, als hätte man sie und ihre Familie um eine würdevolle Sterbebegleitung betrogen:
„Ich erkenne erst viel später, dass wir uns um eine Sterbebegleitung haben berauben lassen.“ (S. 72)
Der Sterbende als Mensch, nicht als Ressource
Einen Schwerpunkt legt Greinert auf die Wahrnehmung des sterbenden Organspenders. Sie hinterfragt die Definition des Hirntods, der in ihrer Ansicht weniger ein tatsächlicher Tod als ein Mittel ist, um Organentnahmen zu rechtfertigen. Besonders bedrückend ist eine Schilderung der Organentnahme:
„Der angeblich tote Spender verhält sich während der Entnahme so wie ein lebender Patient, der während der Operation anfängt aufzuwachen und Schmerzen empfindet.“ (S. 100)
Sie fordert, dass der Sterbeprozess eines Menschen respektiert werden muss – auch dann, wenn er als Organspender infrage kommt. Greinert kritisiert, dass Organspende und Sterbebegleitung sich gegenseitig ausschließen:
„Die Kirche betont, wie wichtig Sterbebegleitung ist, […] in Ruhe und Frieden, ohne Anspruch Dritter an ihn, in das ewige Leben hinüberzugleiten. Organspende und Sterbebegleitung schließen sich allerdings aus.“ (S. 153)
Die Verantwortung der Gesellschaft
Greinert wirft auch einen kritischen Blick auf die Gesellschaft und die Transplantationsmedizin, die Organspende oft als rein positives Thema darstellt. Sie prangert an, dass diese Sichtweise die Rechte und Bedürfnisse des Sterbenden außer Acht lässt:
„Die Transplantationsmedizin klärt selbstverständlich auf, aber nur einseitig werbend.“ (S. 142)
Besonders beunruhigt sie, wie wenig die Betroffenen selbst über die tatsächlichen medizinischen Prozeduren wissen. Sie berichtet zum Beispiel von dem umstrittenen Apnoetest, der durch die Entziehung der Beatmung irreparable Schäden verursachen kann, um den Hirntod zu diagnostizieren:
„Wenn die Angehörigen um die Brutalität und Risiken dieses Verfahrens wüssten, würden die meisten ihre Zustimmung verweigern.“ (S. 164)
Der Verlust des natürlichen Sterbens
Mit großem Bedauern beschreibt Greinert, wie der Tod in unserer modernen Gesellschaft entfremdet wird. Das Sterben findet kaum noch in der Familie statt; stattdessen wird es in Krankenhäuser und Pflegeheimen verlagert. Für sie geht damit ein entscheidender Teil des Lebens verloren:
„Wir lassen den Tod zum Feind des Lebens werden, dem man aus dem Wege gehen muss. […] Der Tod als Freund, am Ende eines erfüllten Lebens, ist uns verloren gegangen.“ (S. 197)
Für Menschlichkeit und Respekt im Sterben
Renate Greinerts Buch ist ein eindringlicher Appell für eine ehrliche und differenzierte Aufklärung über die Organspende. Es geht ihr nicht darum, Menschen von einer Organspende abzubringen, sondern sie in die Lage zu versetzen, eine informierte und bewusste Entscheidung zu treffen. Sie fordert, dass der Sterbende als Mensch gesehen wird, dessen Rechte und Würde auch in seinen letzten Stunden gewahrt bleiben:
„Die Entscheidung, ob ja oder nein, darf nur nach wirklich umfassenden Informationen fallen.“ (S. 200)
Ihre Worte hinterlassen einen starken Eindruck: Organspende kann das Sterben hinausschieben – aber niemals um den Preis, den Sterbeprozess eines anderen Menschen zu verkürzen oder ihn seiner Würde zu berauben.
Auch die Frage nach ihrer persönlichen Entscheidung für eine Organspende für sich und ihre Kinder, bleibt Renate Greinert dem Leser nicht schuldig. (S.200)
Renate Greinert, geboren 1943 in Krefeld, studierte Pädagogik in Hannover und Braunschweig. Nach elf Jahren Unterrichtstätigkeit an Sonderschulen und privaten Vorschulen verließ sie 1979 den Schuldienst und arbeitete als Dozentin im Volkshochschulbereich. Der Tod ihres ältesten Sohnes im Jahr 1985, der zur Organspende freigegeben wurde, führte zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Transplantationsmedizin und den damit verbundenen ethischen Fragen. Seitdem engagiert sie sich für eine kritische Aufklärung über Organspende und Hirntod. Sie ist Vorsitzende des Vereins „Kritische Aufklärung über Organtransplantation“ (KAO) und hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter „Unversehrt sterben! Konfliktfall Organspende“.