Können wir bald die Gedanken von Wachkomapatienten hören?

Ein internationales Forscherteam der Stanford University und Partnerkliniken hat in einer aktuellen Studie (Kunz et al., Cell, August 2025) bahnbrechende Ergebnisse vorgestellt: Innere Sprache – also das „Sprechen im Kopf“ – ist im menschlichen Motorkortex deutlich messbar und kann in Echtzeit dekodiert werden.

Was ist „innere Sprache“?

Innere Sprache bezeichnet das stille Mitsprechen oder innere Monologisieren, wie wir es beim Lesen, Zählen oder Nachdenken erleben. Viele Menschen kennen diese innere Stimme, die Gedanken in Worte fasst, ohne dass die Lippen sich bewegen.

Neue Hoffnung durch Sprach-Neuroprothesen?

Hirn-Computer-Schnittstellen (BCIs) haben in den letzten Jahren bereits gezeigt, dass gelähmte Menschen wieder kommunizieren können – etwa durch das Dekodieren von Handschrift-Signalen oder gesprochener Sprache, die nur noch schwach hörbar ist.
Die neue Studie geht einen entscheidenden Schritt weiter:

  • Vorgestellte Sätze konnten direkt aus Hirnsignalen gelesen werden.

  • Die Genauigkeit erreichte teils unter 20 % Fehlerquote – selbst bei Vokabularien 1) mit über 100.000 Wörtern.

  • Betroffene empfanden die Nutzung der inneren Sprache deutlich angenehmer und weniger ermüdend als den Versuch, tatsächlich zu sprechen.

Gerade für Menschen im Wachkoma oder mit schweren Sprachstörungen (z. B. ALS, Schlaganfall) könnte dies einen Weg eröffnen, wieder mit der Außenwelt in Kontakt zu treten.

Die Möglichkeit, Gedanken oder innere Sprache auszulesen, wirft jedoch Fragen zur mentalen Privatsphäre auf.
Die Forscher zeigen:

  • Auch unbeabsichtigte innere Sprache, wie beim Zählen oder Erinnern, kann teilweise entschlüsselt werden.

  • Gleichzeitig existieren Schutzmechanismen:

    • Spezielle Trainingsverfahren verhindern das versehentliche Auslesen privater Gedanken.

    • Ein „Schlüsselwort-System“ erlaubt es, die Sprachprothese nur bei bewusster Aktivierung zu nutzen.

Noch ist es nicht möglich, freie Gedanken oder komplexe innere Monologe zuverlässig zu „lesen“. Aber die Ergebnisse deuten darauf hin, dass innere Sprache in Zukunft die Grundlage für neue Kommunikationswege werden könnte – besonders für Menschen, die seit Jahren kein Wort mehr äußern konnten.

Damit stellt sich die ethische und zugleich hoffnungsvolle Frage:


Können wir bald die Gedanken von Wachkomapatienten hören?


Originalquelle:
Kunz, E.M., Krasa, B.A., Kamdar, F., Avansino, D.T., Hahn, N., et al. (2025). Inner speech in motor cortex and implications for speech neuroprostheses. Cell, 188(4), 1–16. doi:10.1016/j.cell.2025.06.015

1) D.h. das BCI konnte nicht nur ein paar einfache Befehle erkennen, sondern hatte Zugriff auf fast die ganze Sprache.

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