Wenn Grundrechte aufeinanderprallen: Die Widerspruchslösung als Prüfstein unserer Demokratie!
Das Konzept der Widerspruchslösung sieht vor, dass alle Menschen automatisch als Organspender gelten, solange sie nicht aktiv widersprechen. Dieses Modell unterscheidet sich deutlich von der in Deutschland aktuell gültigen Zustimmungslösung, bei der eine Organentnahme nur nach expliziter Zustimmung durch den Spendewilligen oder dessen Angehörige möglich ist. Befürworter der Widerspruchslösung argumentieren, dass diese Regelung die Spenderzahlen signifikant erhöhen könnte, um dem eklatanten Mangel an Spenderorganen entgegenzuwirken.
Die Widerspruchslösung wirft grundlegende ethische Fragen auf und offenbart einen Konflikt zwischen verschiedenen Grundrechten. Menschen werden dazu gezwungen, sich aktiv mit der Frage der Organspende auseinanderzusetzen, was von Kritikern als subtile Form der Nötigung angesehen wird. Sie sehen das Recht auf körperliche Unversehrtheit als ein hohes Gut, das durch eine automatische Einwilligung infrage gestellt wird.
Gleichzeitig wiegt das Recht schwerkranker Menschen auf ein lebensrettendes Spenderorgan aus Sicht der Befürworter schwerer als das Selbstbestimmungsrecht potenzieller Spender. Die Möglichkeit, Leben durch Organspenden zu retten, erhält dadurch eine ethische und gesellschaftliche Brisanz. Der Konflikt macht deutlich, wie schwer es ist, eine Entscheidung zwischen zwei individuellen Grundrechten und dem Gemeinwohl zu schaffen.
Die Diskussion um die Widerspruchslösung wirft nicht nur ethische Fragen auf, sondern berührt auch grundsätzliche gesellschaftliche und politische Prinzipien! Dabei geht es um mehr als die praktische Regelung von Organspenden – sie offenbart einen Relativismus, der fundamentale Werte unseres Rechtsverständnisses infrage stellt. Relativismus beschreibt die Auffassung, dass Werte, Normen und Wahrheiten nicht absolut, sondern von individuellen oder gesellschaftlichen Perspektiven abhängig sind.
Dieser Relativismus geschieht denn auch in der Tat im eigentlich politisch-staatlichen Bereich: das ursprüngliche, unveräußerliche Recht auf Leben wird aufgrund einer Parlamentsabstimmung oder des Willens eines — sei es auch mehrheitlichen — Teiles der Bevölkerung infrage gestellt oder verneint. Es ist das unheilvolle Ergebnis eines unangefochten herrschenden Relativismus: Das »Recht« hört auf, Recht zu sein, weil es sich nicht mehr fest auf die unantastbare Würde der Person gründet, sondern dem Willen des Stärkeren unterworfen wird. Auf diese Weise beschreitet die Demokratie ungeachtet ihrer Regeln den Weg eines substantiellen Totalitarismus. Der Staat ist nicht mehr das »gemeinsame Haus«, in dem alle nach den Prinzipien wesentlicher Gleichheit leben können, sondern er verwandelt sich in einen tyrannischen Staat, der sich anmaßt, im Namen einer allgemeinen Nützlichkeit — die in Wirklichkeit nichts anderes als das Interesse einiger weniger ist — über das Leben der Schwächsten und Schutzlosesten, vom ungeborenen Kind bis zum alten und sterbenden Menschen, verfügen zu können.
Quelle: u.a. Joannes Paulus PP. II, EVANGELIUM VITAE, S. 18