Zeit, Zeichen zu setzen – für Leben, das zählt.

Ein Beitrag des SelbstHilfeVerband – SHV Baden-Württemberg zum Tag der Organspende 2025

Am heutigen Tag der Organspende ist das öffentliche Echo laut: Dankbarkeit, Appelle zur Solidarität, bewegende Geschichten von geretteten Leben. Wir vom SHV Baden-Württemberg stehen dem Anliegen, Leben zu retten, grundsätzlich nicht entgegen. Aber gerade heute wollen wir ein anderes Zeichen setzen – eines, das selten gesehen wird:

Ein Zeichen für jene, die nicht tot sind, auch wenn andere es behaupten.

Hirntod – ein medizinisches Konstrukt, kein erlebter Tod

Für die Organentnahme gilt in Deutschland der sogenannte „Hirntod“ als rechtlich definierter Todeszeitpunkt. Doch für viele Angehörige fühlt sich dieser Moment nicht wie ein Tod an. Der Körper atmet weiter, das Herz schlägt, die Haut ist warm. Und für Betroffene mit schweren Hirnverletzungen – etwa nach einem Unfall, einer Hirnblutung oder einem Sauerstoffmangel – ist die Grenze zwischen Koma, Wachkoma und Hirntod oft nicht eindeutig. Doch jeder Organspender war zunächst im Koma!

Wir begleiten Menschen, die sich Schritt für Schritt zurück ins Leben kämpfen. Einige waren als „fast Hirntote“, „demnächst Hirntote“ aufgegeben worden – und haben heute wieder eigene Wünsche, Bewegungen, Begegnungen. Ihr Leben zählt. Und es hätte verloren gehen können, wenn man sie zu früh aufgegeben hätte.

Wer spricht für die, die nicht sprechen können?

In der aktuellen Debatte zur Organspende – insbesondere zur Einführung einer Widerspruchslösung – fehlt eine Perspektive: Die der Hirnverletzten selbst.

  • Wer sich nicht äußern kann, muss auf unsere besondere Fürsorge vertrauen können.
  • Wer sich nicht wehren kann, darf nicht vorschnell zum „Spender“ erklärt werden.
  • Wer im Grenzbereich des Bewusstseins lebt, braucht Schutz – nicht Ausschluss.

Würde kennt keine Diagnose. Und der Tod beginnt nicht mit dem Ende der Kommunikation.

Zwischen Vertrauen und Verantwortung

Es ist Zeit, Zeichen zu setzen – ja. Aber nicht nur für Organspende als humanitäre Geste. Sondern auch:

  • für ehrliche Aufklärung über die Grenzen der Hirntoddiagnostik,
  • für Schutzräume statt Schnellentscheidungen,
  • für Zweifel als legitimes Zeichen von Mitgefühl.

Wir sagen: Organspende kann ein Akt der Nächstenliebe sein – aber nur, wenn sie auf freier, informierter Entscheidung basiert. Und nur, wenn der Hirntod zweifelsfrei festgestellt wurde und der Organspender als Sterbender behandelt wird. Das sind wir nicht nur den Spendern, sondern auch den Empfängern schuldig.

SHV Baden-Württemberg fordert:

  • Einen stärkeren ethischen Diskurs über Hirntod und Tod.
  • Eine konsequente Einbindung von Selbsthilfe-Erfahrungen in Gesetzgebung und Aufklärung.
  • Den Schutz und die Rehabilitation neurologisch schwerstgeschädigter Menschen als Priorität – auch gegen ökonomische und systemische Interessen.

Ein Zeichen der Stille

An diesem Tag der Organspende schweigen viele, die etwas zu sagen hätten – aber leider als Spender nichts mehr sagen können.

An diesem Tag der Organspende schweigen viele, die etwas zu sagen hätten – aber leider im Koma nicht gehört werden.

Wir setzen heute ein Zeichen der Stille.

Für das Recht, zu leben. Für das Recht, zu hoffen. Für das Recht, nicht vorschnell aufgegeben zu werden.

Zeit, Zeichen zu setzen – für Leben, das nicht aufgibt.

 

Karl-Eugen Siegel

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